Am 1. Oktober 2020 wurde eine langjährige Forderung der Feuerwehren rechtlich wirksam: Die heuer beschlossene Erlaubnis, im Einsatzfall technische Daten zu Kraftfahrzeugen per Kennzeichen aus der Zulassungsdatenbank abzufragen. Im Umgang mit Unfallfahrzeugen – etwa bei der technischen Menschenrettung oder bei der Fahrzeugbergung – können diese Informationen einen erheblichen taktischen Vorteil und mehr Sicherheit für die eigene Mannschaft bieten. Eine erste Version der Abfrage der Daten über ein Webportal wird vom ÖBFV kostenlos zur Verfügung gestellt.

In der modernen Fahrzeugtechnologie kommen immer mehr technische Raffinessen zum Einsatz, die das Autofahren komfortabler und sicherer machen. Sollte es doch zu einem Unfall kommen, sieht sich die Feuerwehr oft mit einem Fahrzeug konfrontiert, das sich – nach Vorgaben der Konstrukteure – regelrecht „zusammengefaltet“ hat, um die Aufprallenergie zu absorbieren und seine Insassen zu schützen. Zusätzlich finden sich im Wrack Sicherheitssysteme und Bauteile, die bei der technischen Menschenrettung zur Gefahr für Retter und Patienten werden können: mehrere Airbags in der gesamten Fahrgastzelle, Karosserieverstärkungen aus hochfesten Materialien, pyrotechnische Aktoren (Fußgänger-Aufprallschutz, Gurtstraffer) und Gasdruckdämpfer – um nur einige zu nennen. Hinzu kommt die Thematik der alternativen Antriebe, die mitunter eine Änderung der taktischen Vorgehensweise verlangen. Die Live-Abfrage von technischen Fahrzeugdaten aus der Zulassungsdatenbank kann dabei eine Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung sein.

100 Unfälle mit Personenschaden täglich

Dass Österreichs Feuerwehren häufig mit Unfallfahrzeugen zu tun haben, zeigen die Zahlen von Unfällen und Feuerwehreinsätzen: Rund 23.000 Einsätze nach Verkehrsunfällen gaben die Landesfeuerwehrverbände in der Statistik 2019 an (ohne Vorarlberg). Die Statistik Austria erfasst hingegen alle Verkehrsunfälle mit Personenschaden (auch ohne Einsatz der Feuerwehr): Dort wurden im letzten Jahr mehr als 35.700 Unfälle gezählt – im Zehn-Jahres-Vergleich ist diese Zahl stabil, wenn auch Mitte der 2010er-Jahre ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen war. Bei diesen Verkehrsunfällen wurden 2019 ca. 45.000 Personen verletzt – im Durchschnitt also täglich rund 100 Unfälle mit 120 Verletzten auf Österreichs Straßen; bei zwei Drittel dieser Ereignisse wird auch die Feuerwehr hinzugerufen.

Rasche und sichere Menschenrettung als Ziel

Trifft nun die Feuerwehr am Unfallort ein, müssen die Lage erkundet und Gefahren erkannt werden. Mitunter kann es für die Entscheidungen der Führungskraft nun von Vorteil sein, mehr über die beteiligten Unfallfahrzeuge zu wissen. Grundsätzliche Maßnahmen (zum Eigenschutz) wie etwa Brandschutz aufbauen, Airbag-Rückhaltesystem verwenden, Fahrzeuge gegen Wegrollen sichern etc. können nun mit speziellem Wissen aus dem Rettungsdatenblatt und dem Rettungsleitfaden ergänzt werden. Der Ablauf vom Unfall bis zur erfolgreichen Menschenrettung kann wie folgt dargestellt werden, siehe auch ÖBFV Heft 122, „Standardeinsatzmaßnahme VU mit Menschenrettung“:

  • Unfallgeschehen
  • (wenn vorhanden: eCall wird automatisch abgesetzt)
  • Eintreffen der Feuerwehr, Lageerkundung, Gefahren beurteilen und Entschluss
  • Standardmaßnahmen:
    • Absichern der Einsatzstelle
    • Brandschutz aufbauen
    • Verletzte und betroffene Personen betreuen
    • Beleuchtung aufbauen
    • Unfallfahrzeug sichern
    • Rettungsgerät in Stellung bringen und betreiben
    • Ablageplatz Technik (VU, Sondereinsatz …)
    • Treibstoff-Schadstoffaustritt, auffangen, binden und abdichten
  • falls notwendig: Fahrzeugbergung
  • Einsatznachbereitung

Will man in diesem Ablauf Informationen aus Rettungsdatenblatt / Rettungsleitfaden zurückgreifen, gilt es zuerst das Fahrzeugmodell zu identifizieren.

Erkennen des Fahrzeugmodells

Für Laien ist die genaue Identifizierung eines Fahrzeugmodells durch die bloße Betrachtung kaum möglich. Auch Feuerwehrmitglieder haben dieses Wissen in der Regel nicht – und können keinen aktuellen Überblick über alle Fahrzeugtypen haben. Immerhin waren 2019 in Österreich rund fünf Millionen Pkws von mehr als 120 verschiedenen Marken zugelassen.

Ist das Fahrzeug nach einem Unfall stark beschädigt oder fehlen eindeutige Hersteller-Kennzeichnungen („Hybrid“, „eDrive“, „zero Emission“ oder Beschriftungen wie „BMW 520i“), so ist eine Identifikation nur mehr über weitere Quellen möglich.

In Absprache mit Experten aus den Landesfeuerwehrverbänden hat man sich darauf geeinigt, dass die Abfrage anhand der Kfz-Kennzeichen die verlässlichste Methode darstellt, um Unfallfahrzeuge eindeutig zu erkennen. Selbst bei schwer verunfallten Pkws ist die Chance groß, zumindest eine der beiden Kennzeichentafeln lesbar vorzufinden. Neben anderen Ansätzen („Rettungsdatenblatt hinter der Sonnenblende“, QR-Codes, eCall etc.) ergibt sich diese Möglichkeit als die beste, sofort und einfach verfügbare Lösung, für alle österreichischen Fahrzeuge Daten zu erhalten.

Rechtlich ist die Abfrage von Fahrzeugdaten für Feuerwehren im Einsatzfall seit 1. Oktober 2020 möglich, zentraler Ansprechpartner ist der Österreichische Bundesfeuerwehrverband. Anhand des Kfz-Kennzeichens können mit wenigen Ausnahmen alle Kraftfahrzeug-Kennzeichen bei der Zulassungsdatenbank abgefragt werden, als Antwort erhält man unter anderem folgende Daten:

  • Antriebsart
  • Marke
  • Handelsname
  • Type, Variante & Version
  • Erstzulassung
  • Anzahl der Türen
  • Höchstzul. Gesamtmasse

In den Informationen der Zulassungsdatenbank finden sich die grundlegenden technischen Daten, jedoch keine Verknüpfung mit Rettungsdatenblättern oder Rettungsleitfäden (mehr dazu siehe unten).

Rettungsdatenblatt und Rettungsleitfaden

Rettungsdatenblätter (auch Rettungskarten genannt) gibt es seit rund zehn Jahren vermehrt in Europa. Sie enthalten wichtige Informationen für die Feuerwehr über technische Details der Unfallfahrzeuge in komprimierter Form (meist auf einer A4-Seite dargestellt) und werden von den Herstellern selbst – auf freiwilliger Basis – veröffentlicht. Rettungsleitfäden hingegen (Emergency Response Guide, ERG, englisch für: Leitfaden für Notfallmaßnahmen) sind weitaus umfassendere Dokumente, in denen die Hersteller allgemeine Maßnahmen nach Unfällen oder Vorfällen beschreiben. Seit letztem Jahr sind diese Dokumente in der ISO 17840 standardisiert.

Die einfachen Rettungsdatenblätter können über die Websites der Hersteller oder über einschlägige Sammelwerke bezogen werden. In Österreich war das Projekt i122 dabei federführend: in einer App wurden die einzelnen Rettungsdatenblätter als PDFs gesammelt. Heuer wurde eine neue App vorgestellt, die eine EU-weit einheitliche Sammlung von Rettungsdatenblättern in mehreren Sprachen bieten soll. Die Organisation Euro NCAP hat in Zusammenarbeit mit dem CTIF die App „Euro RESCUE“ veröffentlicht. Darin sollen in Zukunft aktuelle Rettungsdatenblätter von Pkws zur Verfügung gestellt werden.

Rettungsdatenblätter helfen übrigens nicht nur bei der „Rettung“ von Personen: Sie enthalten wertvolle Informationen, wie z.B. Anzahl und Position von „normalen“ Niedervolt-Fahrzeugbatterien oder Hochvolt-Trennstellen, die auch für Einsätze ohne Personenschaden interessant sind.

Eine direkte Verknüpfung der Fahrzeuge aus der österreichischen Zulassungsdatenbank mit dem jeweils richtigen Rettungsdatenblatt existiert noch nicht. In anderen EU-Ländern gibt es diese Abfragemöglichkeit bereits über kommerzielle Softwareanbieter.

Erste Abfragemöglichkeit online

Unter der Leitung des ÖBFV-Sachgebiets 5.1 wurde in den letzten Monaten an einer Lösung für diese „Kennzeichenabfrage“ gearbeitet und nun wird für Österreich der erste Schritt zu diesem Thema präsentiert: Über ein Webportal des ÖBFV (http://www.feuerwehrapp.at ) können die grundlegenden technischen Daten aus der Zulassungsdatenbank per Handy, Tablet oder PC abgefragt werden (keine personenbezogenen Daten des Fahrzeughalters).

„Mein Dank gilt dem Generalsekretariat des ÖBFV und der ÖBFV Medien GmbH, die mit dieser ersten Version einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung geschaffen haben – damit können wir in Zukunft noch mehr Service für die österreichischen Feuerwehren bieten“, erklärt der oberösterreichische Landesfeuerwehrkommandant-Stv. LBDS Michael Hutterer, ÖBFV-Sachgebietsleiter „Brand- und technischer Einsatz“.

Die Abfrage darf – so sieht es das Gesetz vor – nur im Einsatzfall erfolgen, für Übungen steht aber eine Testabfrage zum Ausdrucken auf feuerwehrapp.at bereit.

Das Portal soll allen Feuerwehren in Österreich kostenlos zur Verfügung stehen, der Zugang ist aber nur mit Benutzername und Passwort möglich. Derzeit ist das Anmelden nur für User mit einem Office365-Benutzer von @feuerwehr.or.at möglich – der ÖBFV arbeitet aber an einer Lösung, das System auch für andere dienstliche Benutzerzugänge freizuschalten. Trotzdem soll schon diese erste Version eine Unterstützung sein: Sie gibt sofort Auskunft darüber, ob etwa eine alternative Antriebsart vorliegt und liefert die genaue Typenbezeichnung des Fahrzeuges. Mit dieser Beschreibung und dem Datum der Erstzulassung kann auch das passende Rettungsdatenblatt in gängigen Datenbanken gefunden werden.